Thomas Manns großer Musik- und Deutschlandroman
Auf der Grundlage des Faust-Stoffes erzählt Thomas Mann in seinem 1947 erschienenen Roman vom nationalsozialistischen Zivilisationsbruch. So wie sich der Komponist Adrian Leverkühn für seine große Kunst dem Teufel verschreibt, so verstrickt sich das von Thomas Mann meisterhaft porträtierte Bildungsbürgertum in die Katastrophe des Nationalsozialismus. Kein anderer Roman dieses Autors ist dermaßen kontrovers und erhitzt diskutiert worden - noch Jahrzehnte nach seinem Erscheinen. Ein schonungsloses, radikales Spätwerk von großer Aktualität.
Mit einem Nachwort von Michael Lentz
In der Lebensgeschichte Adrian Leverkühns - der fiktiven Romanbiographie eines Komponisten, der sich dem Teufel verschreibt - faßt Thomas Mann alle Entwicklungsstufen der alten Faust-Sage zusammen und verknüpft sie mit der »drohenden Problematik unserer Zeit, dem katastrophalen Rückfall des hoch- und überentwickelten Geistes in archaische Primitivität«. Der zeitliche Rahmen umgrenzt die Jahre von 1884 bis 1945 - seine eigene Epoche. Er selbst nannte den >Doktor Faustus< »ein Lebensbuch von fast sträflicher Schonungslosigkeit, eine sonderbare Art von übertragener Autobiographie, ein Werk, das mich mehr gekostet und tiefer an mir gezehrt hat, als jedes frühere«. Die überstarke Anteilnahme des Autors bei der Niederschrift bleibt - trotz Einführung eines wohl über den Dingen stehenden Erzählers - Kapitel um Kapitel spürbar.
Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem
Freunde, so der Untertitel des Romans, wird vom pensionierten Lehrer Dr.
phil. Serenus Zeitblom erzählt, der seinem Jugendfreund als Librettist
und Verwahrer seiner Manuskripte zur Seite stand. Beide stammen aus einem
altdeutsch gezeichneten Umfeld in Thüringen, besuchten gemeinsam das Gymnasium
und studierten mehrere Semester an der selben Universität, Leverkühn Theologie,
Zeitblom klassische Philologie. Auch spätere Lebensstationen führten beide
wiederholt zusammen, bis Leverkühn 1930 - in deutlicher Anlehnung an die
Biografie von Friedrich R Nietzsche - eine Geisteskrankheit befällt und
er die letzten zehn Lebensjahre in geistiger Umnachtung bei seiner Mutter
verbringt. Leverkühn, mit faustischen Zügen gezeichnet, ist im Gegensatz
zu seinem katholischen, humanistischen Prinzipien folgendem Chronisten
ein menschenscheuer, zwischen Schwermut und Lachzwang schwankender hochmütiger
Intellektueller, dessen radikale musikalische Arbeiten als exzentrische,
die Magie einbeziehende Werke qualifiziert sind, wobei die schönbergsche
Zwölftonmusik eine herausgehobene Rolle spielt. In dem zentralen Teufelsgespräch
(25. Kap.), einem fantastischen kunsttheoretischen Selbstgespräch Leverkühns
in einem der Mephisto-Szene nachgebildeten Dialog, erfolgt die - vom Teufel
in Aussicht gestellte - Beschreibung der Inspiration als dämonischer Quelle
künstlerisch schöpferischer Genialität, die gesellschaftspolitisch als
Auslieferung an den europäischen Faschismus in einem krankhaften Rausch
gedeutet wird (>>Der Künstler ist der Bruder des Verbrechers<<). Zeitbloms
Beschreibung des Werde- und Untergangs seines Freundes sind im Ton eines
Anteil nehmenden Beobachters gehalten, der von seinem Gegenstand mit einer
Mischung aus faszinierter Bewunderung und sorgenvollem Schrecken berichtet
- analog dem Blick Manns aus dem Exil auf die gesellschaftliche und politische
Entwicklung Deutschlands in den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts.