»Vielleicht bin ich nicht der Mensch, den du dir gerade wünschst«, sagte ich. Er schwieg. Seine Silhouette verzog sich im kalten Südwind und für einen kurzen Moment sah ich seine Schulterblätter in Flügel gefaltet, ununterscheidbar, ob Sinnestäuschung oder Offenbarung.
Was geschieht, wenn wir uns begegnen? Was, wenn es Gott ist, der uns begegnet? Diese Fragen haben Martin Buber ein Leben lang umgetrieben. In siebzehn modernen Erzählungen und kurzen Reflexionen erzählt Tom Sojer biblische Begegnungen neu, ausgehend von der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Inspirieren lässt er sich von Abraham, Hagar, Hanna oder Hiob, die in vielerlei Gestalt dem Gestaltlosen begegnen. Gott dringt ihnen unter die Haut, wirft sie zu Boden, küsst ungefragt. Kein Blick bleibt folgenlos.
Doch auch im Heute bleibt Begegnung ein Risiko. Sie fordert alles: Stimme, Körper, Herz. Die Protagonisten in Tom Sojers Erzählungen ringen mit dem namenlosen Du in Momenten, wo sie verletzlich sind, in widersprüchlichen und zutiefst menschlichen Begegnungen. In der Berliner Ringbahn, im Spital oder am Ufer des Zürichsees stellt sich immer neu die eine entscheidende Frage: Lässt sich Gott berühren - und wenn ja, wo?
Wirkliche Begegnung - Martin Bubers Appell ist auch 60 Jahre nach seinem Tod noch immer aktuell. Und um Begegnungen geht es auch in den modernen Erzählungen und
kurzen Reflexionen von Thomas Sojer, denen er ausgewählte Bibeltexte aus der Buber-Rosenzweig-Übersetzung zur Seite stellt.
Wenn sich im Buch die drei Fluchtlinien kreuzen - Erzählungen, Bibel, Reflexion -, beginnt man zu ahnen, was biblische Begegnungen auch mit uns heute noch zu tun haben, was sie für einen Anspruch haben. Ein Engel tritt auf. Eine Frau stirbt. Die Fragen bleiben still im Raum. Begegnung, wie Buber sie verstand, fordert alles: Stimme, Körper, Risiko. Nah und direkt.
Präzise und scharf schneiden die biblischen Verse durch die Erzählungen. Die Perspektiven verschieben sich, Verse drängen in die Gegenwart. In 17 Kapiteln, in 17 Erzählungen ringt der Autor um Sprache gerungen und bricht Erwartungen. Denn im Du-Sagen stellt sich immer neu die eine entscheidende Frage: Was geschieht, wenn wir uns begegnen - und nichts wie zuvor ist?